Die Frau, die frei sein wollte by Hera Lind

Die Frau, die frei sein wollte by Hera Lind

Autor:Hera Lind
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Diana Verlag


30

Köln, September 1975

»Jetzt haben wir ein Problem.« Vater war wütend mit dem fremden Koffer davongefahren, die Nachbargardinen hatten sich allmählich wieder gesenkt, und Mutter hatte sich mühsam gefasst.

»Hier könnt ihr nicht bleiben.« Cihan stopfte sich das Hemd in den Hosenbund, das ihm beim Ringkampf mit Vater herausgerutscht war. Noch immer rot vor Wut, strich er sich vor dem Flurspiegel die Haare glatt.

»In eure Wohnung können wir auch nicht. Alper würde uns dort sofort wieder dort rausholen, und ich brauche Abstand.«

»Aber ich muss doch morgen zur Schule«, wandte ich ein. Und was war mit Ismet? Das auch nur zu denken war im Moment nicht angebracht.

Wir holten die schreienden Zwillinge aus ihrem Zimmer und beruhigten sie.

Mutter dachte nach. Und Cihan dachte nach. Ich war einfach nur verwirrt.

Das war es nun gewesen. Die Ehe meiner Eltern war beendet. Mutter rief unverzüglich ihre Schwester an, die in Hannover mit einem Deutschen verheiratet war. Onkel Otto war erfolgreicher Architekt, er arbeitete selbstständig und entwarf die Innenausstattung großer Hotels. Die beiden hatten drei Söhne, meine Cousins mütterlicherseits, die in Hannover aufs Gymnasium gingen.

»Selbstverständlich könnt ihr fürs Erste bei uns wohnen!« Tante Emine freute sich aufrichtig, uns helfen zu können, und so standen wir noch am selben Tag, an dem wir ahnungslos aus dem Sommerurlaub in der Türkei zurückgekommen waren, um den fremden Koffer in unserem Hausflur zu sehen, bei ihr in Hannover auf der Matte.

Cihan hatte uns einfach am Kölner Hauptbahnhof in den Zug gesetzt.

In dem geräumigen hellen Haus am Maschsee, das mein Onkel Otto selbst entworfen und gebaut hatte, wurden wir freundlich aufgenommen, und gleich am nächsten Tag ging ich mit meinen Cousins ins Hannoveraner Gymnasium.

Der Schulwechsel fiel mir nicht sonderlich schwer, denn ich fühlte mich wie befreit. Alles war besser, als den ständigen Streitereien meiner Eltern ausgesetzt zu sein und meine arme Anne immer so traurig zu erleben.

Hier war sie zwar auch noch traurig, aber Tante Emine und Onkel Otto taten alles, um sie aufzuheitern, und halfen ihr, in Hannover ein neues Leben aufzubauen.

»Du hast doch nur noch für drei Kinder zu sorgen und nicht mehr für sechs!«, sprach Tante Emine ihr Mut zu. »Dein Cihan lebt schon mit seiner Christa zusammen, deine Fidan ist auch unter der Haube und hat zwei kleine Kinder mit ihrem Bekir, und dein Kenan ist bereits bei seinem Onkel Engin in der Lehre. Jetzt lassen wir unsere Beziehungen spielen, um für dich eine schöne Änderungsschneiderei einzurichten, denn du bist eine brillante Schneiderin und verstehst dein Handwerk. Deine lieben Kinder erziehen sich doch wie von selbst. Nicht wahr, Selma?«

»Ja, Tante Emine.« Ich war so gut erzogen und so hilfsbereit, wie sich eine Mutter ihre dreizehnjährige Tochter nur wünschen konnte.

»Mit einer eigenen kleinen Schneiderei kannst du dir deine Zeit selbst einteilen. Kopf hoch, Meryem, du schaffst das. Wir halten zusammen.«

Das war das Gute an türkischen Familien: Nie ließen sie einander im Stich. Keine alleinerziehende Mutter war je sich selbst überlassen.

»Und für die Zwillinge finden wir bestimmt einen passenden Kindergarten.«

Otto blätterte schon in seinem Adressbuch und hatte sofort die richtigen Geschäftsfreunde beziehungsweise deren Gattinnen in der Leitung.



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